Koalitionsvertrag: die foodwatch-Analyse
Die neue Regierung hat verabredet, was sie in den nächsten Jahren umsetzen möchte. Wird unsere Ernährung dadurch gesünder, sicherer und zukunftsfähiger?

foodwatch-Geschäftsführer Dr. Chris Methmann
Schwarz-Rot steht. Endlich wieder eine handlungsfähige Regierung! Politische Stabilität und Koalitionen demokratischer Parteien sind wertvoll, wie ein Blick ins Ausland oder auf die Ampel offenbart. Dass SPD und Union sich nach vielen Gesprächen auf Kompromisse verständigt haben, ist zunächst einmal eine gute Nachricht.
Doch schaut man auf die Inhalte, verdüstert sich das Bild schnell. Gerade fürs Ernährungssystem steckt kaum etwas drin – das sind die übelsten Leerstellen:
Gesunde Ernährung? Kein Thema.
Mit rosaroter Brille betrachtet: Die Union hatte in ihrem Wahlprogramm viele Maßnahmen für eine gesündere Ernährungsumgebung explizit ausgeschlossen, zum Beispiel eine Herstellerabgabe auf besonders zuckrige Drinks. Diese Denkverbote haben es zum Glück nicht in den Koalitionsvertrag geschafft.
Doch das ist auch schon alles. Denn umgekehrt wurden auch keinerlei wirksame Maßnahmen vereinbart, um Menschen besser vor ungesunder Ernährung zu schützen. Ein Totalausfall – das muss man leider so deutlich sagen.
Es fehlt an allem, was nachweislich hilft:
- keine Beschränkung von Junkfood-Werbung an Kinder,
- keine Limo-Steuer,
- keine verpflichtende Nährwertampel,
- kein kostenloses, gesundes Mittagessen für alle Kinder in Schule und Kita.
Dabei sagt die Wissenschaft eindeutig: Diese Maßnahmen würde gesunde Ernährung für uns alle einfacher machen. Doch die Koalition stellt sich lieber schützend vor die Profite der Industrie.
Denn mehr fällt den Koalitionär:innen nicht ein: „Wir fördern verstärkt Bewegung und gesunde Ernährung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen.“ Damit singen sie das Lieblingslied der Junkfood-Industrie: Bloß nichts an Produkt oder Werbung ändern, sondern die Schuld lieber ihren Kund:innen zuschieben.
In den Sondierungen glomm noch ein kleiner Lichtblick. Es sollte geprüft werden, ob Energy Drinks ein Mindestalter bekommen. Das wäre angesichts aggressiver Marketingstrategien von Red Bull, Monster & Co. ein überfälliger Schritt. Doch in den Koalitionsvertrag hat es diese Empfehlung des Bürgerrats Ernährung leider nicht geschafft – wie auch alle anderen Rats-Empfehlungen nicht.
Platt gesagt: Red Bull setzt sich gegen uns Bürger:innen durch.
Tierschutz – am wirkungslosen Ende angesetzt
In der Mehrzahl deutscher Ställe geht es den Tieren schlecht. Drei große Stellschrauben gäbe es, um daran etwas zu ändern. Leider bleibt der Koalitionsvertrag an allen drei Punkten schwach. Konkreter wird es nur bei einer Maßnahme, die wenig bringt – dem Haltungslabel
- Tierschutzvorgaben: Die Ampel hatte hier einiges vor, etwa das längst überfällige Verbot der Anbindehaltung. Denn noch immer steht eine Million Rinder ganzjährig angekettet im Stall. Doch die Modernisierung des Tierschutzrechts ist nun vom Tisch. CDU und SPD bleiben vage, konkrete Verbesserungen sind nicht verabredet.
- Finanzielle Anreize: Die Koalition will Geld in Stallumbauten stecken – wie viel und woher es kommen soll, bleibt offen. Entscheidender wäre ohnehin: Die Förderung muss an tatsächliche Verbesserungen für die Tiere gekoppelt werden. Doch dafür bräuchte es verlässliche Daten, wie es den Tieren in einem Betrieb geht. Immerhin findet sich im Vertrag ein Satz, an dem man Hoffnung knüpfen kann: „Wir werden die Tiergesundheitsstrategie unter Vernetzung der vorhandenen Datenbanken weiterentwickeln.“ Ganz vielleicht kommt so endlich ein guter Überblick über den Krankenstand in deutschen Ställen. Damit Behörden gezielt eingreifen können, wo das Elend regiert.
- Haltungskennzeichnung: Schwarz-Rot will Cem Özdemirs Tierhaltungs-Kennzeichnung zumindest nicht gleich wieder abschaffen. Für uns war schon immer klar: Das Label ist viel zu lasch und gibt zu wenig konkrete Hilfe beim Einkauf. Also maximal ein Anfang. Aber kein Ersatz für echten Schutz. Denn die formale Haltungsform sagt oft nichts darüber aus, wie es den Tieren wirklich geht. Rund ein Drittel aller Schweine zum Beispiel ist krank – egal ob konventionell oder bio. Was in den Sondierungen noch angekündigt wurde – das Label auszuweiten und zu verbessern – kommt im Koalitionsvertrag gar nicht mehr vor. Dafür steht jetzt ein neuer Einschub drin: „unter Einbeziehung der Beteiligten der gesamten Wertschöpfungskette“ – konkret heißt: Die Industrie hat einen Fuß in der Tür. Und das verheißt nichts Gutes.
Landwirtschaft? Fassen wir lieber nicht an.
Auch beim Umbau unserer Landwirtschaft in Richtung Zukunftsfähigkeit enttäuscht die neue Koalition. Zwei besonders drastische Beispiele:
- Pestizide: Von Reduktion ist kaum die Rede – stattdessen sollen Zulassungsverfahren für neue Pestizide vereinfacht werden. Was das bedeutet, ist offensichtlich: Weniger Prüfungen, weniger Schutz – und mehr Macht für die Industrie.
- Klimaschutz: Die Landwirtschaft verursacht einen erheblichen Teil der Treibhausgasemissionen – doch CDU und SPD schließen explizit aus, dass sie in den Emissionshandel aufgenommen wird. Während Länder wie Dänemark mutig vorangehen und einen CO₂-Preis einführen, setzt sich in Deutschland einmal mehr die Agrarlobby durch.
Lebensmittelsicherheit? Kein Personal.
Lebensmittelsicherheit ist Ländersache – darum überrascht es nicht, dass sie im Koalitionsvertrag kaum vorkommt. Was uns jedoch besorgt: Die Regierung will die Zahl der Beschäftigten in Bundesbehörden und Ministerien deutlich reduzieren. Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit könnte betroffen sein – mit Signalwirkung für die Länder. Schon heute scheitert Lebensmittelüberwachung häufig am Personalmangel. In Berlin etwa bleiben geltende Hygiene-Gesetze schlicht folgenlos, weil niemand da ist, um sie durchzusetzen.
Bezahlbares Essen? Eine vertane Chance.
Es ist der Mövenpick-Moment der Union: Vor der Wahl bekam sie Spenden und Unterstützung aus der Gastro-Branche. Nach der Wahl setzt sie eine Steuersenkung für Restaurants durch.10 In Zeiten knapper Kassen sind die veranschlagten 4 Mrd. Euro pro Jahr echt happig. Profitieren werden vor allem die umsatzstarken Ketten. McDonald’s allein bekäme 140 Mio. Euro – pro Jahr!
Eine echte Reform hätte ganz woanders angesetzt: bei der Mehrwertsteuer im Supermarkt. Das Thünen-Institut hat vorgerechnet, wie eine umwelt- und gesundheitsgerechte Anpassung aussehen könnte: Pflanzliche Lebensmittel entlasten, Fleisch höher besteuern. Gut für Geldbörse, Klima, Gesundheit und Staatskasse – aber diese Chance wurde verpasst.
Einziger Lichtblick: „Wir setzen uns für mehr Transparenz bei versteckten Preiserhöhungen ein.“ Klingt gut – ist aber so vage formuliert, dass das wenig Hoffnung macht. Aber wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass „Shrinkflation“ endlich gekennzeichnet werden muss.
Zivilgesellschaft? Nervt.
Schon kurz nach der Wahl schoss Friedrich Merz aus allen Rohren – mit 551 sogenannten „kritischen Fragen“ zur Zivilgesellschaft, die vor allem eines bezwecken sollten: NGOs diffamieren, weil sie seine Nähe zur AfD kritisiert hatten. Auch foodwatch landete auf der Liste. Dabei hatten wir uns zur gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD gar nicht geäußert. Es geht aber eh um was anderes: Zivilgesellschaft soll eingeschüchtert werden.
Das setzte sich in den Koalitionsverhandlungen fort. CDU-Verhandler Philipp Amthor wollte das Informationsfreiheitsgesetz abschaffen oder so umbauen, dass es wirkungslos wird. Dabei nutzen wir es in vielen Recherchen. Im Koalitionsvertrag klingt das jetzt so: „Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir mit einem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung reformieren.“ Wir werden uns dafür einsetzen, dass es den versprochenen Mehrwert tatsächlich gibt – und die Regierung nicht wieder im Verborgenen agieren kann.
Unser Fazit
Diese Koalition wird von allein keine Ernährungswende bringen. Sie wird von allein weder für faire Preise noch für mehr Transparenz oder Tierschutz sorgen. Sie überlässt damit unsere Ernährung der Industrie. Weil immer mehr Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren, ist das fatal.
Gerade deshalb braucht es Verbraucher:innen, die sich einmischen – mehr denn je. Und wir lassen uns nicht entmutigen. foodwatch wird auch in den kommenden vier Jahren unbequeme Fragen stellen, für Ihre Rechte und echte Veränderungen kämpfen – und aufdecken, was die Regierung lieber verschweigt.
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