ASC-Siegel und Co.: Kann ich mit gutem Gewissen Lachs kaufen?
Lachs gilt als gesund und nachhaltig. Doch die Wahrheit hinter der Lachsindustrie ist erschreckend. Was können Verbraucher:innen tun?
Annemarie Botzki von foodwatch antwortet:
Lachs wird von Industrie und Lebensmittelhandel gerne als gesundes und nachhaltiges Lebensmittel vermarktet. Doch die Realität ist erschreckend. Das deckt der aktuelle foodwatch-Report „Faule Fische – europäische Lachsindustrie außer Kontrolle“ auf.
Millionenfaches Tierleid in der Zucht
Jedes Jahr verenden allein in Norwegen, einem der größten Lachsproduzenten der Welt, über 100 Millionen Zuchtlachse, viele davon durch Krankheiten, Parasiten oder Verletzungen. Im Schnitt stirbt jeder vierte junge Lachs und jeder sechste größere Lachs bereits in der Aufzuchtphase. Diese hohe Sterblichkeitsrate ist kein Zufall, sondern eine direkte Folge der Haltungsbedingungen: Die Lachs-Firmen quetschen möglichst viele Fische in die Zuchtkäfige im Meer, um Geld zu sparen. Das Leben in den überfüllten Käfigen macht die Tiere krank, sie leiden unter bakteriellen Infektionen, offenen Wunden oder Parasitenbefall – oft mit tödlichem Ausgang.
Und es wird noch schlimmer: Entkommene Zuchtlachse, die häufig selbst krank sind, verbreiten Krankheiten und Parasiten unter den Wildlachsbeständen und gefährden damit die Ökosysteme der Fjorde. Die Zahl der Wildlachse in Norwegen hat sich in den vergangenen 20 Jahren halbiert! Gleichzeitig verbraucht die Lachszucht riesige Mengen an Fischfutter – oft aus Wildfisch hergestellt. Das treibt die Überfischung der Meere weiter an.
Wie verlässlich sind Siegel wie ASC?
Labels wie ASC oder das gelbe GNN-Siegel sollen für nachhaltige Fischzucht stehen. Das Aquaculture Stewardship Council (ASC) Siegel garantiert nach eigener Aussage: „Wer Lachs mit dem ASC-Siegel isst, weiß, dass der Fisch in sauberen Gewässern aufgezogen wurde, von Züchtern, die Wert auf die Gesundheit des Fisches legen.“ Die Herkunft der zertifizierten Fischprodukte soll anhand eines Codes auf der Verpackung von der „Zucht bis auf den Teller lückenlos nachvollziehbar sein“. Doch klappt das wirklich? Nein! Ein foodwatch-Test zeigt, dass die versprochene Rückverfolgbarkeit kaum funktioniert: Von zehn ASC-Produkten in einer Stichprobe konnten wir gerade einmal zwei zu einer konkreten Lachsfarm zurückverfolgen.
Und vor allem: Die wohlklingenden Siegel können die eklatanten Missstände in der Lachsindustrie ganz offensichtlich nicht verhindern. ASC zertifiziert nach eigenen Angaben 42 Prozent, das gelbe GGN-Siegel angeblich sogar 90 Prozent der norwegischen Lachsaquakultur – trotzdem verenden und erkranken jedes Jahr Millionen Tiere. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Massensterben in Lachs-Farmen oder kranke Fische entkamen ins offene Meer. Betroffen waren auch von ASC zertifizierte Betriebe, wie ASC gegenüber foodwatch bestätigt hat.
Unser Report zeigt, dass das ASC-Label in der Praxis weder Transparenz noch eine strikte Einhaltung der Tierwohlstandards gewährleistet. Solche Siegel sollen vor allem das Gewissen von uns Verbraucher:innen beruhigen.
Ist Bio-Lachs besser?
Ist der Griff zu Lachs aus ökologischer Zucht die Lösung? Nicht unbedingt. Für Bio-Lachs gelten zwar strengere Vorgaben zur Anzahl der Fische pro Käfig. Eine Garantie für gesunde Fische ist das aber nicht, auch wenn die enorm hohe Dichte von Tieren pro Käfig einer der Hauptgründe für das schnelle und unkontrollierte Ausbreiten von Krankheiten und Parasiten ist. Ohnehin ist der Anteil von Bio-Lachs in Norwegen aber äußerst gering: Nicht einmal zwei Prozent der gesamten produzierten Lachsmenge kommt aus Öko-Haltung.
Supermärkte in der Verantwortung
Es ist ein Dilemma: Wer Lachs aus Norwegen kauft, hat mit ziemlicher Sicherheit ein Produkt im Einkaufskorb, für das Tiere und Umwelt leiden. Im Supermarkt ist es für uns Verbraucher:innen schwer bis unmöglich, Lachs aus nachhaltiger Produktion zu kaufen. Was also tun? Die deutschen Supermärkte spielen eine zentrale Rolle. Denn fast jeder zweite Lachs bei uns stammt aus norwegischer Zucht. Rewe, Edeka, Aldi und Lidl hätten die Marktmacht, an den dramatischen Zuständen in der norwegischen Lachsindustrie wirklich etwas zu verändern!
Wir von foodwatch haben eine Online-Protestaktion gestartet und fordern: Die großen Handelskonzerne dürfen sich nicht länger hinter fragwürdigen Siegeln wie ASC verstecken. Sondern müssen als einer der größten Abnehmer von norwegischem Lachs jetzt Verantwortung übernehmen, um das Leid der Lachse zu beenden und die Umwelt zu schützen. Edeka, Lidl und Co. müssen die Rückverfolgbarkeit von Lachsprodukten gewährleisten und nur noch Lieferanten wählen, die ihre Produktionsbedingungen offenlegen. Der Handel muss sicherstellen, dass er nur noch Lachs aus Zuchtbetrieben verkauft, die nachweislich gute Tiergesundheitsdaten und niedrige Mortalitätsraten aufweisen.
Solange die katastrophalen Zustände in der Fischzucht nicht behoben sind, dürfen deutsche Supermärkte keinen Lachs aus Norwegen mehr verkaufen!
Auch wenn ich als Einzelne:r beim Einkaufen es schwer habe, etwas zu verändern – wir können trotzdem gemeinsam etwas tun: Indem wir Druck ausüben auf Rewe, Lidl, Aldi und Edeka, endlich etwas zu verbessern!