Weniger statt mehr: Der Bundesrat hat am vergangenen Freitag einer Reform von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner zugestimmt, der eine massive Verringerung der amtlichen Kontrollen von Lebensmittelbetrieben vorsieht. Trotz des Skandals um den Fleischkonzern Tönnies, trotz des Listerien-Ausbruchs beim Wursthersteller Wilke – und trotz des Protests von zahlreichen Verbänden und mehr als 150.000 Bürgerinnen und Bürgern.
Ein Beitrag von foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker.
Wir haben alles versucht – und mussten doch eine ganz bittere Niederlage einstecken.
Als wären die Empörung über den Schlachtkonzern Tönnies bereits verhallt, der Skandal um den Wursthersteller Wilke nicht Warnung genug: In Zukunft werden die Behörden Lebensmittelunternehmen weniger kontrollieren, als das bisher vorgesehen ist. Sie haben richtig gelesen: Weniger, nicht mehr. Der Bundesrat hat am vergangenen Freitag einen entsprechenden Reformentwurf von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner verabschiedet, den wir – und nicht nur wir – für fatal halten.
Weniger Kontrollen – auch für Fleischbetriebe
Was klingt wie ein schlechter Scherz, ist leider Realität. Selbst so genannte Risikobetriebe müssen die Verbraucherschutzämter künftig seltener überprüfen, als es die bisherige Vorschrift will. Firmen aus der Kategorie der Wurstfabrik Wilke zum Beispiel: Bisher 12 Pflicht-Kontrollen im Jahr, künftig nur noch vier. Für Unternehmen, bei denen die Ämter im Falle schlechter Hygiene das höchste Gesundheitsrisiko erwarten – die größten Fleischbetriebe etwa – können jetzt sogar 200 Pflicht-Kontrollen im Jahr wegfallen, weil statt arbeitstäglich nur noch wöchentliche Pflicht-Kontrollen in der Vorschrift stehen.
Entscheidung zu Gunsten der Fleischindustrie
Diese unfassbare Reform zeigt, dass die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher für Frau Klöckner keine entscheidende Rolle zu spielen scheinen. Freuen darf sich die Fleischindustrie, die trotz aller Skandale seltener kontrolliert werden muss. Und auch einige Bürgermeisterinnen und Landräte werden zufrieden sein: Sie hatten schon vor der Reform so sehr bei den Stellen gespart, dass in ihren Städten und Gemeinden viel zu wenig Lebensmittelkontrollen stattfanden – mit der Klöckner-Reform werden jetzt einfach die Aufgaben dem Personalmangel angepasst. Das ist, als würde man einfach die Blitzer abbauen, wenn zu viele Autos bei Tempoverstößen erwischt werden – und am Ende erzählt man wahrscheinlich noch stolz, dass es jetzt weniger Raser gebe…
Verhandlungen hinter verschlossenen Türen
Ich kann Ihnen nicht verhehlen, dass die Enttäuschung bei uns im foodwatch-Team – und auch meine ganz persönliche – nach der heutigen Abstimmung im Bundesrat riesig ist. „Das kann doch einfach nicht wahr sein“, denken wir. Im Mai 2019 waren wir es, die die bis dahin allein zwischen den Regierungen von Bund und Ländern hinter verschlossenen Türen vorbereiteten Pläne überhaupt erst öffentlich gemacht hatten, nachdem uns ein erster Referentenentwurf aus dem Klöckner-Ministerium zugespielt worden war. Immerhin: Eine noch drastischere Kürzung der Kontrollen, wie zunächst geplant, wurde vom Tisch genommen. Zu mehr hat es nicht gereicht.
150.000 Unterschriften und scharfe Kritik von Verbänden
Dabei haben wir gerade in den vergangenen Wochen wie die Löwen gekämpft – mit der fantastischen Unterstützung von mehr als 150.000 Bürgerinnen und Bürgern haben wir gefordert, die Klöckner-Reform zu stoppen. In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Verbänden der Lebensmittelkontrolleure und Amtstierärzte haben wir von foodwatch vor den Plänen gewarnt, Entscheidungsträgerinnen und Etnscheidungsträger auf Bundesebene in allen 16 Bundesländern kontaktiert, unzählige Gespräche geführt, hunderte Briefe, E-Mails und Beiträge in den sozialen Medien geschrieben. Auch die Verbraucherzentralen warnten eindringlich vor den Folgen der Reform.Alles vergeblich: Julia Klöckner hat ihren Entwurf mit der Zustimmung der Landesregierungen durchgesetzt.
Frau Klöckner hat die Öffentlichkeit getäuscht
Aber warum konnte Julia Klöckner eigentlich mit diesem Reformvorschlag durchdringen? Gab es denn niemanden, der ihr widersprochen hat? Doch: Wir hatten einige Unterstützung von Verbraucherschutzpolitikerinnen und -politikern quer durch die Parteien, von den Linken bis zur FDP. Als es jedoch zählte, haben sich die entscheidenden Personen an den Spitzen der Parteien und Ministerien bequem hinter der Kommunikationsstrategie von Julia Klöckner versteckt – und die lautete: Tricksen und Täuschen, wie ich es selten erlebt habe. Die Reform werde „deutlich mehr Lebensmittelkontrollen“ bringen und eine „stärkere Ausrichtung der Kontrollen auf neuralgische Punkte“ durch zusätzliche Kontrollen in „Problembetrieben“, hieß es da.
Wie bitte? Genau: Das alles stimmte nicht, mit diesen Aussagen verdrehten Frau Klöckner und ihre Leute den eigenen Entwurf praktisch in ihr Gegenteil. Alle Behördenleute, Veterinäre, Kontrolleure, mit denen wir gesprochen haben, bestätigten: Gegenüber der bisherigen Vorschrift werden durch die Reform sogar gerade bei den Risikobetrieben Pflicht-Kontrollen weggestrichen, ohne dass diese adäquat ersetzt werden könnten.
Wir finden: So geht das nicht! Um das zu klären, haben wir sogar eigens ein juristisches Gutachten beauftragt. Darin bestätigt der renommierte Rechtsprofessor Ekkehard Hofmann der Universität Trier, dass die Versprechen des Ministeriums haltlos sind. Auch das hat leider nichts genutzt, denn Julia Klöckners Behauptungen waren in der Welt – und wurden auch von vielen Medien ungeprüft übernommen.
Aber ich sage es nochmal, bei aller Enttäuschung: Wir lassen uns davon nicht entmutigen und werden in den nächsten Monaten alles daran setzen, besser zu werden. Den Anspruch, dass es so etwas wie einen neuen Wilke-Skandal nicht noch einmal geben kann, wollen wir nicht einfach aufgeben!
Martin Rücker ist Geschäftsführer von foodwatch Deutschland
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Diese unfassbare Reform zeigt, dass die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher für Frau Klöckner und die Landesregierungen keine entscheidende Rolle zu spielen scheinen. Freuen darf sich die Fleischindustrie, die trotz aller Skandale seltener kontrolliert werden muss. Das zeigt, wir müssen noch lauter werden - bitte helfen Sie uns dabei, am besten als Fördermitglied!