Frage des Monats 01.03.2023

Warum gibt es immer mehr Lebensmittelrückrufe?

istock/SDI Productionis

Andreas Winkler, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, antwortet:

Im Jahr 2022 gab es auf www.lebensmittelwarnung.de mehr als 300 Rückrufe, 258 davon bei Lebensmitteln – das waren so viele Meldungen wie noch nie, seit das offizielle Warn-Portal der Behörden vor etwa zehn Jahren an den Start ging.

foodwatch/Sabrina Weniger

Mehr als ein Drittel der Warnungen im vergangenen Jahr erfolgte aufgrund mikrobiologischer Verunreinigungen. Also zum Beispiel durch Bakterien wie Salmonellen, Campylobacter oder E.coli, durch Schimmelpilze oder auch Viren. Diese Mikroorganismen können bei tierischen Lebensmitteln beispielsweise bei der Schlachtung oder über Rohmilch in die Lebensmittelkette gelangen. Aber auch bei der Ernte, Verarbeitung, Lagerung oder dem Transport von Lebensmitteln kann es zu Kontaminationen kommen. Die Keime führen immer wieder zu Magen-Darm-Infektionen – insbesondere für Kinder und alte oder kranke Menschen kann das gefährlich sein. Ungefähr ein Viertel der Lebensmittel wurde wegen Grenzwertüberschreitungen zurückgerufen. Weitere Gründe waren Fremdkörper, falsch gekennzeichnete Allergene oder unzulässige Inhaltsstoffe. 

BVL

Jedes Jahr mehr Lebensmittelrückrufe

Bund und Länder hatten die Internetseite lebensmittelwarnung.de im Jahr 2011 gestartet, um Rückrufe auf einer zentralen Plattform zu verbreiten. Seither ist die Zahl der offiziellen Warnungen über das Portal konstant angestiegen. Während es 2012 gerade einmal 83 Meldungen waren, gab es 2021 schon 282 Rückrufe, im vergangenen Jahr dann den bisherigen Höchstwert mit 311 Warnungen. 
 

BVL

Was bedeutet der kontinuierliche Anstieg? Gibt es immer mehr Probleme bei der Lebensmittelproduktion? Oder sind Hersteller einfach vorsichtiger geworden und warnen die Öffentlichkeit schneller? Diese Frage ist nur schwer zu beantworten. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das lebensmittelwarnung.de betreibt, interpretiert es eher positiv: Die Zunahme der Meldungen zeige, dass Unternehmen und Handel ihrer gesetzlichen Meldepflicht nachkommen. 

Schwachstellen im System

Fakt ist jedenfalls: Selbst wenn es zu einem Rückruf kommt, wird nicht alles dafür getan, um uns Verbraucher:innen zu warnen. Das Lebensmittelrecht lässt viele Spielräume, wann ein Rückruf erforderlich ist. Ob und wie vor unsicheren Lebensmitteln gewarnt wird, kann zunächst einmal das betroffene Unternehmen selbst entscheiden. Denn sowohl die Beurteilung des gesundheitlichen Risikos als auch die öffentliche Warnung sind in erster Linie Aufgabe der Unternehmen – und diese stehen hier vor dem Interessenkonflikt zwischen einem Rückruf und möglichen negativen Folgen für das Unternehmen. 

Den Behörden wiederum fehlt oftmals die Rechtssicherheit, von sich aus einen Rückruf zu machen. In aller Regel werden lediglich die Warnungen, die die Unternehmen selbst herausgeben, durch die Behörden weiterverbreitet – so wie es auch auf lebensmittelwarnung.de der Fall ist. Viele Rückrufe erreichen uns Verbraucher:innen zudem zu spät oder gar nicht. So landen viele Meldungen erst mit Verzögerung auf lebensmittelwarnung.de. Diese Schwachstellen hatte foodwatch bereits vor einigen Jahren in dem umfassenden Report „Um Rückruf wird gebeten – warum Lebensmittelwarnungen oft zu spät oder gar nicht kommen“ offengelegt. Auch die Verbraucherzentralen kritisieren, dass über Rückrufe grundsätzlich sehr uneinheitlich informiert wird. Vorgaben, wie genau auf Rückrufe aufmerksam gemacht werden muss oder wie die gesundheitlichen Risiken dargestellt werden müssen, fehlen bisher. 

Supermärkte in die Pflicht nehmen!

Beim System der Lebensmittelrückrufe muss sich also dringend etwas verbessern! Vom Bundesamt für Verbraucherschutz gibt es zum Beispiel noch immer keinen Rückrufe-Newsletter, in den sich jede:r eintragen kann. Geschweige denn eine offizielle Behörden-App, über die alle Warnungen sofort auf dem Handy landen. Oder warum eigentlich werden nicht diejenigen stärker in die Verantwortung genommen, die jeden Tag Kontakt mit den Kund:innen haben: die Supermärkte? Wir von foodwatch fordern schon lange: Rewe, Aldi, Edeka & Co. müssen dazu verpflichtet werden, alle Produktwarnungen gut sichtbar in ihren Filialen auszuhängen. So würden wir beim Einkauf auf einen Blick schnell sehen, wo es Probleme gab. Ganz einfach eigentlich.

Was kann ich tun?

Und was können Sie tun, wenn Sie zum Beispiel Fremdkörper oder andere Mängel in einem Lebensmittel feststellen? In so einem Fall immer am besten direkt den Händler (also etwa den Supermarkt, in dem Sie das Produkt gekauft haben), den Hersteller und auch die bei Ihnen vor Ort zuständige Überwachungsbehörde (oftmals ist zum Beispiel das Gesundheitsamt zuständig) informieren!