Wie erkenne ich eine Glutenunverträglichkeit oder Zöliakie?
Glutenunverträglichkeit und Zöliakie sind oft missverstandene Gesundheitsprobleme. Beide betreffen die Art und Weise, wie der Körper auf Gluten, ein Protein in vielen Getreidearten, reagiert. Dieser Artikel erklärt die Unterschiede, Symptome und Diagnosemöglichkeiten dieser beiden Zustände.
Ernährungsberaterin Alice Luttropp antwortet:
Was ist Gluten überhaupt?
Gluten ist eine Eiweißsubstanz, die im Klebereiweiß des Weizens und anderen verwandten Getreidearten vorkommt. Es besteht aus zwei Fraktionen, die sich je nach Getreideart unterscheiden. In der westlichen Mischkost nehmen wir über Getreideprodukte und verarbeitete Lebensmittel, denen Gluten zugesetzt wurde, durchschnittlich 15 – 20 Gramm Gluten pro Tag zu uns. Manche Menschen reagieren mit Unverträglichkeitsreaktionen auf glutenhaltige Lebensmittel. Dabei muss man unterscheiden zwischen der Zöliakie, einer Autoimmunreaktion des Körpers auf einzelne im Gluten enthaltene Bestandteile und einer sogenannten Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität bzw. Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (NZWS), deren genaue Auslöser und Prozesse noch nicht abschließend geklärt sind.
Was ist Zöliakie?
Zöliakie ist eine Autoimmunreaktion. Bei dieser Erkrankung führt die Autoimmunreaktion zu einer Entzündung der Dünndarmschleimhaut. Die Dünndarmzotten, die für die Nährstoffaufnahme verantwortlich sind, bilden sich zurück. Dies verringert die Resorptionsfläche im Dünndarm und führt zu einer verminderten Nahrungsverwertung.
Symptome der Zöliakie
Die Symptome können Durchfall, übelriechender Stuhl oder Blähbauch umfassen. Nicht immer treten jedoch Magen-Darm-Beschwerden auf. Andere Anzeichen können Nährstoffdefizite, insbesondere Mangel an Eisen, Folsäure, Vitamin B12 und Zink, sein. Auch Antriebslosigkeit, Infektanfälligkeit, eingerissene Mundwinkel, Eisenmangelanämie, Gewichtsverlust und Osteoporose sind mögliche Symptome. Bei Kindern kann es zu Wachstums- und Entwicklungsverzögerungen kommen. Weitere mögliche Symptome sind Depressionen, Migräne, Appetitlosigkeit, Hautveränderungen, Konzentrationsstörungen und erhöhte Leberwerte.
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Diagnose der Zöliakie
Zöliakie hat eine genetische Prädisposition und tritt familiär gehäuft auf. Ein Gentest kann das Risiko ermitteln. Die akuten entzündlichen Prozesse können mittels Bluttests auf glutenspezifische Antikörper und Gewebeproben aus dem Zwölffingerdarm, die man bei einer Endoskopie entnimmt, diagnostiziert werden. Wichtig ist, dass die Tests unter Glutenbelastung durchgeführt werden, d.h. die Tests sind nur dann aussagekräftig sind, wenn die untersuchte Person Gluten zu sich nimmt.
Was ist Nicht-Zöliakie-Gluten- bzw. Weizensensitivität (NZWS)?
NZWS kann bisher nicht eindeutig diagnostiziert werden. Die genauen Auslöser und Prozesse sind noch nicht abschließend geklärt. Die Symptome ähneln denen der Zöliakie, treten jedoch meist schneller nach dem Verzehr von Gluten auf und klingen unter glutenfreier Ernährung schneller ab. Ein Hauptunterschied ist, dass es bei NZWS nicht zur Antikörperbildung und nicht zu pathologischen Veränderungen der Dünndarmschleimhaut kommt.
Mögliche Auslöser der NZWS
Neben Gluten könnten auch andere Inhaltsstoffe wie Fructane und Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) Auslöser sein. ATIs sind Proteine, die u.a. in Weizen, Dinkel und Gerste enthalten sind und bestehende Entzündungsprozesse fördern könnten. Fructane gehören zu den FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di und Monosaccharide und Polyole), die auch in Obst, Gemüse, Milchprodukten und Hülsenfrüchten vorkommen.
Diagnostik bei Verdacht auf Glutenunverträglichkeit
Bei Verdacht auf eine Gluten- bzw. Weizenunverträglichkeit sollte ein Arzt aufgesucht werden. Es sollten Zöliakie, andere Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Weizenallergie ausgeschlossen werden. Ein Selbsttest mit glutenfreier Ernährung und anschließender Reexposition kann Hinweise auf NZWS geben. Solche Selbstversuche werden allerdings stark durch die Erwartungen beeinflusst, der dabei entstehende sog. Placebo- und Noceboeffekt ist nicht zu unterschätzen. Dennoch besteht neben der oben beschriebenen Ausschlussdiagnostik und dem Selbstversuch aktuell noch keine andere Möglichkeit der Diagnostik dieses Krankheitsbildes.
Ernährung bei Zöliakie
Spätestens nach Abschluss der Diagnostik sollte immer eine zertifizierte Ernährungsfachkraft aufgesucht werden, um die langfristig erfolgreiche Ernährungsumstellung zu gewährleisten und Folgeerkrankungen zu vermeiden. Eine solche Fachkraft finden sie z.B. über ihre Krankenkasse oder im Internet bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), beim Berufsverband der Ökotrophologen oder auf der neuen E-Zert.-Plattform, die sich aktuell noch im Aufbau befindet. Bei den Kosten für die Ernährungstherapie werden Sie in der Regel von ihrer Krankenkasse unterstützt.
Die einzige wirksame Therapie bei Zöliakie ist eine streng glutenfreie Ernährung.
Übrigens: Es gibt bereits einen neuartigen medikamentösen Wirkstoff, der sich in den letzten Zügen vor der Zulassung befindet und Betroffenen den Alltag erleichtern soll, indem er die Autoimmunreaktion auf das in der Nahrung enthaltene Gluten abschwächt.
Glutenhaltige Getreidesorten wie Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel/Grünkern, Kamut, Emmer und Einkorn müssen komplett gemieden werden. In Hafer ist das weniger aktive Hafer-Gluten (Avenin) enthalten, aus diesem Grund können Betroffene als glutenfrei ausgewiesene Haferprodukte austesten und bei Verträglichkeit verzehren. Auch Spuren von Gluten können eine Autoimmunreaktion auslösen. Zöliakie-Betroffene sollten in der Küche eigene Bereiche und Utensilien für glutenfreie Lebensmittel einrichten, um Kontaminationen zu vermeiden.
Ernährung bei NZWS
Bei NZWS ist ein weniger strenger Verzicht auf Weizen bzw. Gluten oft ausreichend. Ein Ernährungstagebuch kann helfen, die individuelle Verträglichkeitsschwelle zu ermitteln. Auch eine Ernährung nach dem Low-FODMAP-Prinzip kann Beschwerden lindern. Da FODMAPs aber so häufig vertreten sind, geht diese Ernährungsform oft mit einem sehr eingeschränkten Speiseplan einher, weshalb sie nicht langfristig durchgeführt werden sollte. Ein langfristiger Verzicht auf FODMAP-reiche Lebensmittel kann zu einem Verlust von Lebensqualität und Nährstoffmängeln führen.
Fazit
Eine glutenfreie Ernährungsweise sollte nur bei bestätigter Diagnose einer Unverträglichkeit durchgeführt werden. Bei Zöliakie ist eine strikte glutenfreie Ernährung unerlässlich, um Entzündungen zu vermeiden und die Gesundheit zu erhalten. Bei NZWS kann eine individuell angepasste Ernährung Linderung bringen. Eine Ernährungsberatung durch zertifizierte Fachkräfte ist in beiden Fällen empfehlenswert, um eine ausgewogene und nährstoffreiche Ernährung sicherzustellen und langfristige Folgen zu vermeiden.
Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft bringt eine glutenfreie Ernährung für gesunde Menschen hingegen keine Vorteile. Zöliakie tritt oft in Kombination mit anderen Autoimmunerkrankungen, wie Schilddrüsenüber oder -unterfunktion, Diabetes Typ I, rheumatoide Erkrankungen oder Multiple Sklerose auf. Menschen, die an einer anderen Autoimmunerkrankung leiden, könnten möglicherweise von einer glutenfreien Ernährung profitieren. Hier ist aber noch Forschung nötig, bevor man abschließende Ernährungsempfehlungen geben kann.
Ein leichtfertiger Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel ist deshalb nicht empfehlenswert. Bitte besprechen Sie das zunächst mit ihrem Arzt oder Ernährungstherapeuten.